»Bratwurst versus Kiwi«

Episoden aus Neuseeland

»Das größte Geschäft in diesem Land«, meinte der junge Aucklander, der uns Anhalter aufgelesen hatte, »ist Dope«. Mein Kumpel hatte ihn daraufhin unumwunden angehauen, ob er etwas dabei hätte. Hatte er nicht. Aber er sei froh, daß er uns aufgegabelt hätte. Die Einstellung des Neuseeländers war jene, daß er nun eine Schuld erfüllen konnte; weniger in Marijuana als in Mitfahrgelegenheiten. Er war früher viel getrampt - nun sei er dran, andere mitzunehmen. Und er machte mir ein Kompliment über meine Sonnenbrille, welche ich seit der Sache mit dem alten Honda nur mit einem Bügel trug.«

Ricky öffnete den Mund zur Antwort, doch das Brummen eines Dieselmotors, welches sich neben uns zu einer quietschenden Vollbremsung verwandelte, unterbrach ihn. Als ich mich umwandte, sah ich einen weißen Geländewagen mit der großen Aufschrift Fishery Police zum Stehen kommen. Heraus sprangen zwei Kerle, die jeden von uns packten und mit Bestimmtheit gegen das Auto drückten. Fischerei-Polizei. Was ich mit dem Kerl zu schaffen hätte wurde ich gefragt und stammelte eine stark verkürzte Version meiner Geschichte. Womöglich hatte mein Akzent schon genügt, um mich laufen zu lassen. Dennoch hatte ich das Gefühl, daß man mich nur zögernd gehen ließ. Rick, mit dem Sack voller Muscheln, mußte der Inquisition hingegen weiterhin Rede und Antwort stehen. Der rief mir grinsend zu „see ya later, bro!”

„Deutssss eeh?” kratzte eine Stimme als wir herangekommen waren. Das Gesicht, der sie entsprang, war zerfurcht, von Stirn bis Kinn zogen sich gewundene Spuren dunkelblauer Tinte, schwarze Augen funkelten. Ich nickte. Das Gesicht blies Rauch aus. „Beer and ecstasy, aye?” Ein oder zwei andere der Gangmitglieder glucksten und atmeten ebenfalls Rauch aus. Ich sah SS Runen und eiserne Kreuze wie Medaillen an den Jacken und Kapuzenshirts. Nachdem ich an der Zigarette von Bob gezogen (der hieß nicht Bob — der wollte mir nur zeigen, daß wir Fremde waren und Smalltalk in seiner Welt nicht existierte ), nachdem ich also einen Zug genommen hatte, bemerkte ich, daß das keine Zigarette war. Da mußte ich an Maik denken. Ich atmete hustend aus, es gluckste um mich herum. Man fand meine Naivität lustig. Wieder das Glucksen.

„…and Frankfurters!” rief Jake seiner Frau Doris, einer Maori-Dame, hinterher, welche gerade in ihr Auto steigen wollte. Sie hielt die Hand hinter ihr Ohr, für eine Sekunde nur, dann winkte sie ab. Jake lächelte und ging er an die kleine Holzhütte, wo Charlie wartete. Charlie hatte eine Zigarette gedreht. Auf seinem Arm klebte eine verwitterte Tätowierung, nicht zu erkennen. Aber etwas von der Marine war es, ankerförmig. Er kramte nach Feuer in seiner ausgebeulten schwarzen Trainingshose. Die Flamme bewegte sich entlang seines rot-weißen, quer gestreiften Poloshirts bis sie an seinem Kinn Halt machte. Mein Blick folgte ihr unwillkürlich. Man mußte vom Kinn aus bis zum Haaransatz hinauf blicken. Allein Charlie’s untere Gesichtshälfte hatte genug Charakter für eine Armee von Durchschnittsvisagen auf dieser weiten Welt. Der Mann war zerknittert. Ein echter Seemann. „Kumpel — weißt Du, ich mag Frankfurters!” Jake lächelte, mit Zahnlücken eines Fünfjährigen. „Wiener Würstchen.” erklärte ich in korrektem Deutsch als Charlie rief: „Wozu Frankfurters? Du ißt doch sowieso durch den Strohhalm!” Jake wandte sich Charly zu und hatte beide Arme vom Körper abgestreckt und verharrte in einer Geste gespielter Erschrockenheit, nach hinten gebeugt.

„In Australien zwar unter Naturschutz; da gehören die Viecher auch hin. Hier gibt es keine Raubtiere.” Mir wird klar, warum manche Farmer auf der Straße einen kleinen Schlenker fuhren, um einem unglücklichen Opossum den Garaus zu machen. Vielerorts findet man die Tiere auf der Straße. Über zwanzigtausend Tonnen Blattwerk werden jede Nacht von ihnen aufgefuttert. Das Problem ist, so Jon, daß die Viecher immer nur die zarten Knospen an den Spitzen der Bäume abfressen. Damit hindern sie die Bäume am Wachsen, weshalb einige der einheimischen Gewächse fast verschwunden sind. „Kann man nicht auch von den Opossums auf der Straße das Fell ernten?” frage ich nachdenklich. Jon kniet vor der Falle, zieht seinen Hammer aus dem Gürtel und schlägt ihn mit präziser Wucht auf das unglückliche Tier. Dann beginnt er, das Fell in Büscheln abzupflücken. „Nein, es geht nur, solange die warm sind”, erklärt er, und schmeißt das „gepflückte” Opossum in die Büsche. Dann beginnt er weißes Pulver an den Baum zu reiben an welchem die Falle mittels einer Eisenkette festgenagelt ist.

„Ich lebe schon seit fünfundzwanzig Jahren hier und fahre ziemlich oft Leute an den Fluß… Sowas Idiotisches ist mir noch nie begegnet!” Rob schüttelte ungläubig den Kopf, als er von unserem Plan erfuhr. Wir fanden es gar nicht so dramatisch, mit einem drei Meter langen Aluminiumboot auf dem Whanganui River auf Reisen zu gehen. Rob schon. Er war der Eigentümer des lokalen Campingplatzes, auf welchem ich meinen Bus untergestellt hatte. Wir saßen nun in seinem Geländewagen mit dem er uns und unser Boot an den Fluß fuhr. Für so eine Fahrt sei dieses Dinghy nicht gemacht, in den Stromschnellen würden uns die Nieten wie Sektkorken um die Ohren fliegen.

Die Story

Zwei, drei Reisende in ihren Zwanzigern erleben Neuseeland. Was als Suche nach tribaler Romantik mit ADAC-Reisekarte begann, wurde schnell zu einer Serie von Abenteuern. Es wird nicht aufgezählt, was das Land an Schönheit oder fun facts zu bieten hat. Es wird erzählt. First hand, sozusagen. Man erfährt, was ein Bartaffe ist, womit man in Neuseeland das meiste Geld macht oder daß man sich nicht „am Sack kratzen soll“, wenn man Opossums das Fell ausrupft.

Der rote Faden schlängelt sich mit dem Erzähler, der nach dem Studium so weit weg wie möglich weg wollte, in’s Ungewisse. Die Reise erstreckt sich am Ende über sechzehn Jahre. Über abfallende Auspuffanlagen, Segelbootfahrten in Schräglage bis zu Erdbeben in Christchurch. Aus den naiven Selbstreflexionen eines Backpackers werden Ansichten eines New Zealand Residents, welcher die Veränderungen der südpazifischen Gesellschaft in einer sich stetig globalisierenden Welt miterlebt hat.

 

Marco Siebert hat die zwei südpazifischen Inseln insgesamt fünfmal besucht. 2010 ist der letzen Endes dort geblieben. Neben der Beschämung über seinen „CO2-Abdruck“, unternimmt er hier den Versuch, Neuseeland dem Leser aus dem Blickwinkel eines ahnungslosen Rucksack-Reisenden nahezubringen, der an dem Land wächst. Last but not least finden sich Illustrationen von Katrin Kadelke, deren Werke inzwischen Bücher in Neuseeland und Deutschland zieren. Da braucht es keiner Worte...



Blick ins Buch

Der Autor

Hier schreibt jemand, der es wissen muß. Denn er war und ist immernoch dort. In Neuseeland.
Marco Siebert ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Nach seinem ersten juristischen Staatsexamen mußte er irgendwann einfach weit weg. So weit wie möglich. So war das.
Siebert ist also Jurist, was aber im Buch keine Rolle spielt: Da ist er Backpacker, Barkeeper, Pilot, Webentwickler oder Assistent eines Opossum-Jägers. Zunächst mal ist er jung und ahnungslos. So treibt er sich im Land herum und lernt.

 

Unter ThePersonalist veröffentlich Siebert Polemisches und Rechtspilosophisches. Er hat vor langer Zeit auch in der Thüringer Allgemeine veröffentlicht.

Die Illustratorin

...lebt auch in Neuseeland und ist praktisch ein alter Hase, was Bücher betrifft. Katrin Kadelkes heitere Illustrationen sind der perfekte Begleiter für die Geschichten.
Vor allem durch ihre Veröffentlichungen mit dem Autoren und Kabarettisten Ulf Annel wurde sie bekannt. Hier gibt's mehr von ihr zu sehen.

Wo gibt's das?

Da, wo es alles gibt: Im Internet. Und da Sie sich gerade genau im selben befinden, klicken Sie doch einfach hier:

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Impressum

Marco Siebert
270 Ohiwa Harbour Road
RD2 Waiotahe
marco[at]interactivesites.co.nz


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